Fleissige Kräne, depressive Kiwis, fatale Übersetzungsfehler und der neuseeländische Wintersommer

Vor fünf Tagen sind wir in Neuseeland angekommen, und hier ist wieder alles ganz anders. Christchurch, unsere erste Station im Land der Kiwis, wurde vor bald fünf Jahren von einem gewaltigen Erdbeben zerstört. Es muss ein gewaltiges Beben gewesen sein, das diese Stadt heimgesucht hat, überall wird wieder aufgebaut, die Straßen sind voll von orange-weißen Hütchen, die den Verkehr um die Stellen leiten, an denen die Erdstöße die Betondecke zerrissen haben, als wäre sie aus Papier. Das Thema ist hier allgegenwärtig: Geschäftige Kräne, zerklüftete Häuser, dazwischen der Versuch,  der unter dem Boden schlummernden unberechenbaren Naturgewalt zum Trotz, Alltag zu leben. Es ist bedrückend, durch Christchurch zu fahren. Und zugleich der Gedanke, dass es auch reinigend für diese Stadt sein könnte, sich neu erfinden zu können. Keine Frage, es ist tragisch, dass über 180 Menschen ums Leben gekommen sind, zahllose Existenzen zerstört wurden. Und doch ist es auch eine Chance für einen Neubeginn im Bewusstsein, dass die Erde hier niemals ruht. Vielleicht aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen und die Stadt so wieder aufzubauen, dass sie besser für das nächste Beben gerüstet ist.

   

So haben wir Christchurch bald hinter uns gelassen, um nach dem Schrecken die Schönheit dieses Stückchen Erdbodens am anderen Ende der Welt zu erkunden. 

Durch auenländisch anmutende Hügellandschaften, die von (auch beim besten Einschlafwillen nicht zu zählbaren) Schäfchenmäulern rund um die Uhr gemäht werden. Zu einsamen Buchten, in denen die Zeichnungen der Lavafelsen daran erinnern, dass alles  Land hier – erdgeschichtlich gesehen  – erst vor kurzem aus Vulkanschloten geronnen und zu Bergen, Tälern, Küsten erstarrt ist. Zu Delfinen, denen es, im Gegensatz zu uns, zu blöd war, im 13 Grad kalten Meer mit Menschen herumzuplanschen, sich nur kurz blicken ließen und kopfschüttelnd über diese seltsamen Wesen in Neoprenanzügen wieder abtauchten. Durch Hagelgewitter, freudige Augenblicke wärmender Sonnenstrahlen im knapp 10 Grad kalten Neuseelandwintersommer. Zu an der Küste gelegenen Berghängen, die kurz ihre Wolkenhaube abnahmen, unter der sie eine Überraschung für uns verborgen hielten: Schnee. Ja, tatsächlich. Schnee. So sehr sich die Lieben in der Heimat den Berichten zufolge nach weißen Weihnachten sehnen, hier scheinen wir nicht weit davon entfernt zu sein. Aber wegen des Badewetters fährt man ja auch nicht nach Neuseeland. 

  
Auch hier sind es wieder die Gegensätze, die mir besonders auffallen. Kroatien, Waldviertel, Irland und Osttirol auf wenigen Kilometern verschmolzen zu sehen ist erstaunlich. Ebenso erstaunlich ist es für mich, dass dieses Land angeblich ein recht grobes Alkoholproblem hat. Berichten zufolge ist Komasaufen hier Normalität, die Regierung scheint dem Problem machtlos gegenüberzustehen und mit zahlreichen Warn- und Hinweisschildern sowie horrenden Preisen für alkoholische Getränke gegensteuern zu wollen. Knapp 10 Euro zahlt man für ein großes Bier. Ich habe auch gehört, dass Depressionen hier eine weit verbreitete Erkrankung sind – da wird es wohl einen Zusammenhang geben und inwiefern hier Hilfe angeboten wird, kann ich nach wenigen Tagen nicht beurteilen. Es ist nur verwirrend, in einem so schönen Land unterwegs zu sein, das zumindest in Europa von vielen als freundlich, entspannt und glücksbringend empfunden wird, und dann mit Berichten konfrontiert zu sein, dass die Menschen hier offenbar keineswegs glücklicher und zufriedener zu sein scheinen. Wie gesagt, diese Informationen habe ich gehört und gelesen, meine Wahrnehmungen beschränkt sich auf die freundlichen, offenen und entgegenkommenden Menschen, mit denen wir es bisher zu tun hatten. 

Sehr präsent ist die Kultur der Maoiris, der Ureinwohner von Neuseeland. Erst vor ca. 800 Jahren ist dieses Volk aus Polynesien hierher gekommen und im Gegensatz zu den Aboriginals in Australien war und ist es ein sehr wehrhaftes Volk. So hatten die britischen Eroberer kein allzu leichtes Spiel und waren gezwungen, Kompromisse einzugehen, um sowohl den neuen als auch den alten Einwanderern Neuseelands Raum für ihre Kultur zu geben. Gestern waren wir in einem „Maori and Colonial Museum“, geführt von einer Maori-Frau, in dem ganz selbstverständlich Häuser, Kutschen, Kunstgegenstände und  Waffen beider Kulturen nebeneinander ausgestellt sind. Sicher, die Maoris wurden im Vertrag von Waitangi, in denen ihnen am 6. Februar 1840 mehr Souveränität versprochen als letztlich gegeben wurde, ordentlich von den Kolonialisten verarscht: Die in maorisch abgefasste und unterzeichnete Übersetzung enthielt einen anderen Text als die letztlich gültige englische Version (https://de.m.wikipedia.org/wiki/Vertrag_von_Waitangi). So erhielten die Maori erst 1975 das Recht, Land einzuklagen und 2008 Entschädigungen von Seiten der Regierung. Heute scheint es so zu sein, dass beide Kulturen Raum haben und friedlich nebeneinander koexistieren können.

  
Ein in jeder Hinsicht spannendes Land, dieses Neuseeland.