Zwei Monate sind wir jetzt unterwegs, haben die malerische Westküste der Südinsel hinter uns gelassen und sind ganz im Süden, in den Catlins. Nicht nur daheim, auch hier hält sich das Wetter nicht an die Statistik: die ansonsten sehr raue und regnerische Westküste haben wir zum Großteil bei strahlendem S0nnenschein erleben dürfen. Die Temperaturen unter tags liegen zwischen 15 und 20 Grad im Schatten, in der Nacht kühlt es auf 8 bis 10 Grad ab. Bedingt durch das Ozonloch, das auf der Südhalbkugel so groß ist, dass die schützende Ozonschicht in der Atmosphäre kaum mehr vorhanden ist, ist die Sonne unglaublich stark. Auch an kühlen Tagen brennt die Sonne auf der Haut, wie ich das noch nirgends auf der Welt erlebt habe. Und sobald die Sonne am Abend im Meer oder hinter den Bergen verschwindet oder Wolken durchziehen kühlt es innerhalb weniger Minuten so stark ab, dass es selbst mit Pulli und Jacke schnell sehr frisch wird. Gemeinsam mit den eisigen Winden aus der Antarktis, die aus dem Süden heraufblasen, wird schnell klar, warum die Südinsel für Badeurlauber nicht unbedingt die erste Wahl ist.
Auch für Freunde von Städtereisen ist der Westen und Süden nicht unbedingt zu empfehlen: Ortschaften bestehen, wenn’s hoch hergeht, aus ein paar Häusern und nicht einmal die sind von der Straße aus immer zu sehen. Größere Orte haben manchmal eine Tankstelle, ein Cafe oder einen kleinen Supermarkt. Und alle paar hundert Kilometer gibt es kleine Städte, so in der Größenordnung von Eisenstadt.
Dazwischen liegen Hügel, Regenwälder, Küsten mit und ohne Felsen, zahllose Berge der südlichen Alpen, riesige Schaf- und Rinderweiden – die Schönheit dieses Landes ist nicht in Worte zu fassen. Auch die Wirkung, die dieses Land, die Landschaft, diese Reise an sich auf mich und mein Innenleben hat lässt sich nur schwer ausdrücken. Ich merke gerade, wie schwer mir das Schreiben fällt. Hingesetzt habe ich mich mit dem Bedürfnis, euch einen weiteren Einblick in unsere Erlebnisse und Abenteuer zu geben, doch alles Geschriebene erscheint mir platt und farblos im Vergleich zu dem Erlebten, das ich in Worte zu fassen versuche.
Unzählige Wanderungen durch den Regenwald, an versteckten Bergseen, die Delfine bei ihrem ausgelassenen Herumtollen in den Wellen beobachten, ein Helikopterflug über schneebedeckte Gipfel, die sich an tiefblaue Fjorde schmiegen, Pinguine, die in einer kleinen Lacke inmitten eines versteinerten Waldes planschen, Wasserfälle, Dosenspaghetti, Blaubeermuffins – und das im Optimalfall mit jener von mir so ersehnten Ruhe und Gelassenheit im Geist, die den Moment erst zum Erlebnis werden lässt. Das ist bei weitem nicht immer so, ich habe auch schon Momente erlebt, in denen ich mich einfach nur ärgern musste über die Seltsamkeiten meines Geistes. Stell dir vor, du gehst durch einen wunderbaren Regenwald, so einer, den du nur aus dem Universum im Fernsehen kennst, und dein Hirn hat volle zwei Stunden nichts Besseres zu tun, als über irgendeinen Schmarren nachzudenken, der gerade hier und gerade jetzt wirklich vollkommen wurscht ist. Oder – der kontemplative Super-GAU – Helene Fischer grölt „Atemlos…“ in deinem Kopf, während du am Meer sitzt und Seehunde vor deiner Nase im Meer tollen. Und je mehr du versuchst, diese Quälgeister abzuschalten, desto lauter grölen sie „… durch die Nacht …“. Und dann, auf einmal, ein paar Tage später, merkst du, dass es ruhiger wird. Dass das Gebrabbel in deinem Kopf leiser wird und manchmal, in ganz besonderen Momenten, sogar so etwas wie Stille im Geist einkehrt und es nur das Hier und Jetzt, diesen Moment, gibt.
Und das ist dann das Erleben, das ich meine. Die Erinnerung an eine Ansammlung solcher Momente, in denen sogar Helene Fischer die Pappen haltet und Ruhe einkehrt.
