Der erste Tag in Wellington, der kleinen Haupt“stadt“ Neuseelands, war schon ein bisschen ein Kulturschock. Nach der einsamen Südinsel waren wir das erste Mal wieder mit Häusern, die mehr als zwei Stockwerke haben, richtigem Strassenverkehr (ab und zu sogar mit kleinen Staus) und weitaus mehr Menschen, als wir die letzten Wochen um uns hatten, konfrontiert. Bald war uns klar, dass wir umdenken müssen und eine Reise zu Ende ist, dafür eine andere beginnt. Es ist nun einmal so, dass von vier Millionen Neuseeländern insgesamt drei Viertel auf der Nordinsel wohnen, die noch dazu um einiges kleiner ist, als ihre südliche Schwester. Wenn ich daran denke, dass ich in weniger als einem Monat wieder daheim bin, kann ich wohl froh darüber sein, dass ich nicht in Wien sondern im kleinen Strasshof lebe. Und bestätigt für mich, dass ich mir – zumindest derzeit – nicht mehr vorstellen könnte, in der Stadt zu leben. Selbst größere Dörfer lösen in den letzten Tagen einen Fluchtreflex aus und Ruhe stellt sich wieder ein, wenn wir sie nach Volltanken und Einkaufen wieder hinter uns gelassen haben. Hätte ich auch nicht gedacht, dass ich einmal zu einem Landei werde.
Vor unserer Flucht aus der Stadt staunten wir allerdings noch im neuseeländischen Nationalmuseum „Te Papa“ in Wellington in sechs Stockwerken über die toll aufbereiteten Ausstellungen der hiesigen Flora und Fauna, über lebendig aufbereitete Informationen zu Erdbeben und Vulkanismus sowie über die Kultur der Maori und die Eroberung des Landes durch die Briten. Dieses heikle Thema wurde hier zwar für meinen Geschmack etwas unübersichtlich aber sehr objektiv präsentiert. Unverkennbar haben hier Maori und Pakeha – so werden Nicht-Maori bezeichnet – gut zusammengearbeitet.
Spannend war dann auch der Besuch der hiesigen Filmstudios, die mittlerweile ja dank dem Erfolg der „Herr der Ringe“-Trilogie bei zahlreichen Kassenschlagern wie „Avatar“, „District 9“ oder „King Kong“ längst bewiesen hat, dass auch ein kleines Land wie dieses zu einem Big Player in der Filmindustrie aufzusteigen kann. Im Rahmen einer kleinen Tour erfuhren wir, wie all das Klumpert, das in Kinofilmen zum Einsatz kommt, hergestellt wird: Alien-Gewehre, Rüstungen, Affenköpfe und so Zeug halt.
Begeistert war ich übrigens von der Erkenntnis, dass es auf der Nordinsel (fast) keine Sandflies gibt. Gut, hin und wieder ein kleiner Stich, das könnte aber auch eine der paar wenigen Gelsen sein. Was für eine Wohltat: im Freien sitzen, ohne nachher die Biester ob ihrer juckenden Stiche zu verfluchen. Und es ist viel wärmer hier im Norden, die Temperatur sinkt auch in der Nacht nicht unangenehm tief.
Nachdem wir Wellington hinter uns gelassen haben ging es direkt zum Tongariro National Park, wo drei der beeindruckendsten Vulkane des Landes zu Hause sind. Einer davon hat es ebenfalls dank Hobbits und Co zu Weltruhm gebracht hat. Er hört auf den schönen Namen Mount Ngauruohe, besser bekannt als „Schicksalsberg“. Für alle Nicht-Hobbitfans: das ist der, in dessen Krater man dann irgendwann den Ring schmeissen muss. Keine Ahnung, ob das wirklich was bringt. Erstens war ich zu faul, um da raufzusteigen und zweitens hätte ich eh keinen Ring dabei gehabt.
Die Energien habe ich mir für ein anderes Abenteuer aufgehoben. Ein Stück weiter nördlich liegt das kleine Minidörfchen Waitomo, berühmt für seine Höhlen. Einfach so in eine Höhle gehen war uns dann doch zu gewöhnlich, wir entschieden uns mit leichtem Flattern in der Magengegend für eine vierstündige geführte Höhlentour. Das klingt ja noch ziemlich nach Komfortzone. Doch der Einstieg zur Höhle liegt in einer 100 Meter tiefen Schlucht – und in die durften wir uns erst einmal unter den wachsamen Augen unserer Guides abseilen. Was für ein Erlebnis, sich in diese Tiefe hinunterzulassen.
Und was für ein Gefühl, nach etwa einer Viertelstunde dann unten zu stehen. Fantastisch! Berauscht vom Abseilen (das lustigerweise im Englischen einfach „Abseiling“ genannt wird) habe ich den Rest der Tour dann in einer Art Trance erlebt. Über Fels und Stein ging es durch den Berg, durch eine bläulich schimmernde Glühwürmchenhöhle, an unterirdischen Bächen vorbei und schon war da die dreissig Meter lange Leiter, über die es senkrecht wieder nach oben ging, um ein paar Felswege und Leitern später ans Tageslicht zu kommen. Es ist wieder einmal schwer in Worte zu fassen, wie es sich anfühlt, nach so einer Tour wieder in die Welt aufzutauchen. Bislang habe ich nichts vergleichbares erlebt. Sprachlos.
In Taupo, das ist so ziemlich genau in der Mitte der Nordinsel, entspannten wir uns von den Strapazen der Höhlentour bei einem wunderbaren Sommerkonzert von Melissa Etheridge, REO Speedwagon und Huey Lewis & The News. Sicher so an die fünfzigtausend Leute rückten gut ausgerüstet mit Klappstühlen, Picknickdecken und prall gefüllten Kühlboxen an. Kiwi-Style halt.
Es war für mich ein ganz besonderes Konzert, zählt doch Huey Lewis zu den musikalischen Heroes meiner Jugend, nur kommt der Hund nie nach Europa. Und ich bin froh und dankbar, dass er sein erstes Konzert in Neuseeland ausgerechnet dann spielt, wenn ich gerade in der Gegend bin. An diesem Tag bin ich (wieder einmal) mit einem breiten Grinser schlafen gegangen.
Als nächstes führte unser Weg durch die Geothermalgebiete rund um Rotorua. Hier ist die Erdkruste so dünn, dass es an der Oberfläche teilweise 100 Grad hat. Spazierwege führen an dampfenden Erdlöchern und blubbernden Tümpeln vorbei, an kochend heißen Seen, knallig gelbgrün oder in feurigen Rottönen. Stinkender, heißer Dampf quillt aus Erdlöchern – hier bekommt man einen Eindruck davon, wie es auf der Erde vor Millionen von Jahren zugegangen sein mag.
Da unsere Zeit in Neuseeland langsam aber doch dem Ende zugeht haben wir beschlossen, recht zügig in den hohen Norden der Nordinsel weiterzuziehen. Sattgrüne Hügel dominieren hier die Landschaft, die in malerischen Stränden und Buchten ins Meer zu gleiten scheint. Mächtige Kauri-Bäume wachen über die grillenbezirpten Wälder und wir geniessen noch ein paar Tage im Neuseeländischen Sommer, bevor wir in einer Woche die letzte Etappe dieser wunderbaren Reise angehen: die Cook Islands.


